REGIE: Axel Sichrovsky
"Regisseur Axel Sichrovsky hat […] souverän austariert zwischen Komik, Gegenwartskritik und Pessimismus. […] Da wagt man sicher nicht zu viel, wenn man in dieser Inszenierung einen künftigen Augsburger Publikumsliebling vermutet."
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
»Das Staatstheater Augsburg landet einen Volltreffer. […] Das hat Klasse, hohen Unterhaltungswert und eine überraschende Wendung. […] Regisseur Axel Sichrovsky greift in die Vollen und lässt sogar die Einschränkungen der Ausweichspielstätte Brechtbühne vergessen. […] Mit Lust und Hingabe stürzt sich das Ensemble aufs Stück, auf allen Ebenen. […] Langer, wohl verdienter Applaus - ein Saison-Auftakt, der Appetit auf mehr macht.«
AUGSBURGER ALLGEMEINE
»Eine Inszenierung, die mit viel Lust das emotionale Potential im Text offenlegt und den ganzen Heldenstoff einmal längs und quer und fulminant durchhechelt. Da lösen sich Erkenntnismomente und Unterhaltung ab. Oberwasser für die Hilden - Zeit ist es geworden.«
BAYRISCHE STAATSZEITUNG
"Die fast drei Stunden dauernde Handlung wirkt durch ihre Vielschichtigkeit in keinem Moment langatmig. Sie lebt vor allem vom großartigen Zusammenspiel der beiden Frauen […] es mangelt der Aufführung nicht an erfrischender Komik. Die „Hidensaga“ in der Augsburger Aufführung ist ein vergnügliches Muss für jeden, der den Nibelungenstoff für ein verstaubtes Relikt aus dem Mittelalter hält."
DIE AUGSBURGER ZEITUNG
BESETZUNG | REGIE | BÜHNE | KOSTÜME | CHOREOGRPHIE | LIVE MUSIK | DRAMATURGIE | VIDEO |
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Katja Sieder | Axel Sichrovsky | Irene Ip | Tutia Schaad | Jasmin Avissar | Stefan Leibold | Sabeth Braun | Stefan Korsinsky |
Jenny Langner | |||||||
Ute Fiedler | |||||||
Elif Esmen | |||||||
Natalie Hünig | |||||||
Gerald Fiedler | |||||||
Paul Langemann | |||||||
Thomas Prazak | |||||||
Sebastian Müller-Stahl | |||||||
Kai Windhövel | |||||||
Patrick Rupar |
BESETZUNG
BÜNHILD
Katja Sieder
KRIEMHILD
Jenny Langner
DREI NORNEN
Ute Fiedler, Elif Esmen, Christina Jung / Natalie Hünig
WOTAN
Gerald Fiedler
SIEGFRIED
Paul Langemann
GUNTHER
Thomas Prazak
HAGEN
Sebastian Müller-Stahl
GERNOT
Kai Windhövel
GISELHERR
Patrick Rupar
LIVE-MUSIK
Stefan Leibold
REGIE
Axel Sichrovsky
BÜHNE
Irene Ip
KOSTÜME
Tutia Schaad
CHOREOGRPHIE
Jasmin Avissar
MUSIK
Stefan Leibold
VIDEO
Stefan Korsinsky
DRAMATURGIE
Sabeth Braun
LICHT
Dominik Scharbow
Presse komplett
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG 23.11.2024
von Yvonne Poppek,
"Mit dem Schicksal ist das so eine Sache. Man sollte nicht unbedingt annehmen, dass die Nornen keine Politik machen. Was übrigens nicht heißt, dass alles zu einem guten Ende kommt. Ganz im Gegenteil. „Wie kaputt das alles ist“, sagt Kriemhild einmal, wimmernd, sich am Boden krümmend. Und es ist wahr, gleichgültig, wer die Oberhand hat, Männer oder Frauen, die Gewalt wuchert, die Welt zerspringt.
Es ist schon eine ziemlich düstere Nachricht, die die Saisoneröffnung am Staatstheater Augsburg mit Ferdinand Schmalz’ „hildensaga. ein königinnendrama“ hinterlässt. Doch die ganze Nibelungengesellschaft geht auf der Brechtbühne mit einer solchen Vitalität unter, dass niemand in Schockstarre verfällt. Regisseur Axel Sichrovsky hat dort einen grundsoliden Abend gebaut, souverän austariert zwischen Komik, Gegenwartskritik und Pessimismus. Das Ganze fußt auf dem großartigen Drama von Ferdinand Schmalz. Da wagt man sicher nicht zu viel, wenn man in dieser Inszenierung einen künftigen Augsburger Publikumsliebling vermutet.
Die „hildensaga“ hat der Autor für die Nibelungen-Festspiele in Worms 2022 geschrieben. Es ist eine Neudeutung des Nibelungenstoffs, in der die beiden Königinnen Brünhild und Kriemhild sich aus ihren Rollen als Kriegstrophäe beziehungsweise als Objekt männlicher Begierde befreien und zurückschlagen. Sie begehren auf, sie intrigieren und schließlich töten sie, immer wieder angestachelt von den Nornen, die ihrerseits gegen das patriarchalische System ankämpfen, an dessen Spitze Brünhilds Vater Wotan steht.
Schmalz hat dabei keinen Agitationstheatertext geschrieben, sondern ein poetisches Drama, das zu Recht in die deutschen Spielpläne wandert. Nun eben auch in Augsburg. Dort sind es Katja Sieder und Jenny Langner als Brünhild und Kriemhild, die den Abend mit der Szene vor dem Wormser Dom eröffnen. Es ist der Streit darum, wer vorangehen darf, der die beiden zunächst zu Feindinnen macht, bevor die Nornen die Geschichte zurückspulen, um die Schicksalsfäden neu zu verknoten.
Irene Ip hat dafür eine Bühne mit vier Ebenen gebaut. Wellenförmig strecken sie sich vom Zuschauerraum aus nach hinten, münden in einer bühnenhohen weißen Rückwand, auf der den ganzen Abend über Projektionen zu sehen sind. In dieser kargen, menschenfeindlichen Landschaft findet der Kampf statt, an dessen Ende alle Männer tot und die Frauen tief gezeichnet sein werden. Bei Regisseur Sichrovsky ist das gesellschaftliche Rollenklischee der Beginn aller Probleme. Brünhild ist die unnahbare, stolze Königin Islands, daran lässt das Kraftzentrum Katja Sieder mit vorgerecktem Kinn und harten Gesichtszügen keinen Zweifel. Doch eine solche Frau ist eine Provokation. „Man will dich bändigen“, warnen die Nornen (Ute Fiedler, Elif Esmen und Natalie Hünig). Und siehe da, da kommt auch schon Siegfried.
Paul Langemann gelingt mit seinem Auftritt eine der lustigsten Szenen des Abends. Tutia Schaad hat ihn mit einem Muskel-bepackten Ganzkörpersuit ausgestattet, samt Championship-Gürtel, knappen Höschen und blondem, langem, dünnem Haar. Mit breiten Schritten geht er der Königin entgegen, dazu lässt der wunderbare Musiker Stefan Leibold „Conquest of Paradise“ laufen, das einstige Einzugslied des Boxers Henry Maske. Hier kommt sie also, die toxische Männlichkeit.
Nach ein paar sehr eitlen Posen und einem kurzen Wortwechsel verbringen Siegfried und Brünhild die Nacht miteinander. Warum das zwischen der scharfzüngigen, stolzen Frau und dem intellektuell nicht komplett ausgestatteten Mann funktioniert, diese Erklärung bleibt der Abend schuldig. Gleichwohl geht’s von da an ins Verderben. Brünhild weist Siegfried von sich, davon gekränkt verhilft dieser König Gunther dazu, Brünhild zu freien und zu vergewaltigen, Siegfried selbst heiratet Kriemhild. Vater Wotan maßregelt seine Tochter obendrein. Schließlich treffen sich die beiden Frauen ein zweites Mal vor dem Dom, um sich nun aber zu verbünden und zu töten.
Bei dieser Geschichte von Liebe, Verrat und Untergang mit immanenter Gegenwartskritik an patriarchalen Strukturen und Gewaltmechanismen muss Sichrovsky die Theatermittel nicht neu erfinden. Er kann nehmen, was die Schauspieler anbieten: das Diabolisch-Tapsige von Gerald Fiedler als Wotan, die schnarrende Dominanz von Sebastian Müller-Stahl als Hagen, die chamäleonhaft wechselnden Gefühlslagen von Thomas Prazaks Gunther. Und er kann Jenny Langner strahlen lassen, ihren Witz, das Suchende ihrer Figur, die bei aller Stärke zerbricht.
Und so liegt denn am Ende des Abends alles in Scherben, spielend zerschlagen vom Augsburger Ensemble unter der behutsam-unterhaltenden Führung von Axel Sichrovsky.
AUGSBURGER ALLGEMEINE
von Richard Mayr
Ein Volltreffer zum Saisonauftakt am Staatstheater Augsburg: Ferdinand Schmalz legt in seiner „Hildensaga“ den Fokus auf die Königinnen Brünhild und Kriemhild – und holt den Stoff ins Jetzt.
Die Nibelungen kennt man: Worms, Rhein und Bayreuth, irgendwo in diesem Dreieck müssen sie ihre Heimat haben. Ihre Familiengeschichte reicht an die Mythen der alten Griechen heran. Ein unbesiegbarer Held, eine übernatürlich starke Braut aus dem fernen Island, ein Goldschatz, dazu Liebe, Verrat, Mord und am Ende einer lange geplanten Rache ein wahres Blutbad an Etzels Hof. Die Nibelungen bieten einen Stoff, der über Jahrhunderte, ja Jahrtausende nicht langweilig wird - und jetzt am Staatstheater Augsburg in neuem Gewand auf die Bühne kommt.
Eine Ewigkeit hat man sich diese Geschichte ja nur erzählt, erst im Hochmittelalter hat man sie niedergeschrieben. Aber wenn Erzählungen verschriftlicht werden, zurrt man sie auch fest, büßen sie ihre Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit ein. Richard Wagner hat Brünhild, Siegfried und Co. im 19. Jahrhundert neu interpretiert und in den Opernhimmel gehoben. Um diese Zeit entstand auch Hebbels Bühnenklassiker fürs Schauspiel. Für das Nibelungenbild heute heißt das, dass sehr viel Patina des 19. Jahrhunderts da- rauf liegt.
Am Staatstheater Augsburg ist nun eine Neubearbeitung zu sehen, die den Stoff auf unterhaltsame, aber auch kluge Weise in die Gegenwart holt und gerade an deutschsprachigen Bühnen die große Runde macht. Für die Nibelungenfestspiele in Worms hat der Dramatiker Ferdinand Schmalz seine Fassung „Hildensaga - ein Königinnendrama“ geschrieben. Die vielen Inszenierungen seitdem unterstreichen, dass er damit den Nibelungennerv der Gegenwart getroffen hat.
Denn Schmalz macht zweierlei: Er holt den Stoff ins Hier und He te und lädt ihn auch mit unseren Fragen auf, findet aber eine Sprache, die an Hebbel und Wagner erinnert. Schmalz wahrt die Tradition und macht den Mythos trotzdem lebendig. Das hat Klasse, hohen Unterhaltungswert und eine überraschende Wendung: Denn in der „Hildensaga“ schaffen es Kriemhild und Brünhild, sich zu verbünden – gegen den Wormser Hof. Für die große Rache braucht es im Anschluss keine Hunnen mehr, das erledigt das Frauen-Duo selbst. Wenn Frauen sich zusammenschließen, reißen die Schweißnähte männlicher Nibelungen treue.
Für den Saisonauftakt des Augsburger Staatstheaters greift Regisseur Axel Sichrovsky in die Vollen und lässt für drei Stunden sogar die Einschränkungen der Ausweichspielstätte Brechtbühne vergessen. Vier Rampen steigen nach hinten leicht an, vier Laufstege der Macht, angeordnet wie in einem Skaterpark (Bühne: Irene Ip). Darauf stapft Siegfried (Paul Langemann) als blonder Kraftlackel über die Bühne, präsentiert sein Muskelgebirge wie ein Pfau und trägt einen Boxer-Weltmeistergürtel stolz wie eine Krone. Dazu stimmt der Live-Musiker Stefan Leibold in bester Doppeldeutigkeit Heldenmusik an, nämlich Henry Maskes Einlauf-Song „Conquest of Paradise“.
In Runde 1 bekommt Siegfried von Brünhild (Katja Sieder in Bestform) allerdings eine Tracht Prügel und geht k. o.; für den Rückkampf ein Jahr später will er die Schmach vergessen machen - und nimmt es mit der Fairness nicht mehr so genau. König Gunther (Thomas Prazak), Möchtegerndespot und oberster Jammerlappen in Personalunion, tritt gegen Brünhild an, in Runde zwei bis vier zum Sieg geführt von seinem Tarnkappen-Helden Siegfried. Als Brünhild Runde fünf, die erste Hochzeitsnacht mit Gunther in Worms, für sich entscheidet und ihren Gemahl dem Gespött des Hofs preisgibt, schreiten Gunther und Siegfried in Runde sechs zum gemeinschaftlichen Ehevollzug. Ein anderes Wort dafür lautet Vergewaltigung, das Männerwolfsrudel heult. Dazu gibt es wieder einen anspielungsreichen Song: „Ich will“ von Rammstein. Diskutierte man im vergangenen Jahr nicht heftig über Band-Sänger Till Lindemann und seinen Umgang mit Groupie-Frau- en?
Der Kampf wäre für Brünhild an dieser Stelle entschieden, die Rache, die ihr bliebe, hieße Hagen. Doch die drei Nornen (Elif Esmen, Ute Fiedler und Natalie Hünig) weben bei Schmalz die Schicksalsfäden von Brünhild und Kriemhild (Jenny Langner) anders zusammen. Mit breitem Kreuz und ex- tralangen Armen (Kostüme: Tutia Schaad) schaffen sie ein neues Szenario, Widerstand dagegen gibt es reichlich. Die Regenmantel-Truppe von Gunther, als da wären die lebende Staatsräson Hagen (Sebastian Müller-Stahl) sowie Gernot (Kai Windhövel) und Giselherr (Patrick Rupar) sind weniger das Problem als Götter-Papa Wotan (Gerald Fiedler), dessen Macht- und Dynastiegelüste ausgetrickst werden müssen.
Mit Lust und Hingabe stürzt sich das Ensemble aufs Stück, auf allen Ebenen. Der Sprachwitz wird genauso herausgearbeitet wie die Leitmotive: Die Zähmung der Wildnis in Form von Brünhild und der Verlust des Deckmäntelchens Zivilisation. Gleichzeitig bekommen ihre Figuren auch sprechende Körper, nehmen sie den ganzen Bühnenraum ein, hat das auch eine starke sinnliche Ebene. Letztendlich wird die Geschichte zwar umgeschrieben, aber das Blutbad findet trotzdem statt, nur unter anderen Vorzeichen und mit leicht anderem Ausgang. Die wahre Befreiung deutet Schmalz erst zum Schluss an, wenn alle Darstellerinnen und Darsteller versuchen, raus aus den Kostümen, raus aus diesen Rollen zu gelangen. Erst dann wäre ein anderes, vielleicht auch friedliches Leben möglich. Langer, wohl verdienter Applaus – ein Saison- Auftakt, der Appetit auf mehr macht.
DONAUKURIER 23.11.2024
von B. Angerer-Winterstetter
Augsburg – Alljährlich beschäf- tigen sich Autorinnen und Autoren für die Wormser Nibelungenfestspiele mit neuen Aspekten des Nibelungen-Epos‘. Die 2022 uraufgeführte Version des österreichischen Autors Ferdinand Schmalz machte Furore: Sie erzählt den Stoff aus Frauenperspektive und wurde schon vom Münchner Volkstheater bis zum Wiener Burgtheater nachgespielt. Am Staatstheater Augsburg eröffnete das noch junge Stück am Samstagabend die Spielzeit 2024/25 in der Brecht- bühne im Gaswerk.
Verschwisterung statt Zickenkrieg
Anders als im Original verbünden sich die beiden „hilden“ Kriemhild und Brünhild bei Schmalz miteinander: Verschwisterung statt Zickenkrieg. So wird aus dem Heldenstoff die „hildensaga. ein königinnen-drama“ (der Autor huldigt der Kleinschreibung). Neben der schon im Nibelungenlied starken Kriemhild holt sich der Autor dafür aus der „Lieder-Edda“, an der sich auch Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ bedient, die führende Brünhilden- Figur. Zwei Frauen, die sich gegen einen männerdominierten Hof stellen und sich als stolze Königinnen gegen (sexuelle) Gewalt und Betrug wehren. Was letztlich gender-unabhängig ins finale Gemetzel (nicht bei Etzel, aber im Wald) führt, das keiner der Männer überlebt. Die Spirale aus Gewalt und Gegengewalt: ein menschliches Thema mit leider allzu großer Aktualität.
Doch muss es immer wieder aufs Gemetzel hinauslaufen? Diese Frage stellt sich in der Augsburger Neuproduktion Regisseur Axel Sichrovsky. Und wagt ein neues Schlussbild: Mühsam schälen sich die Ausführenden zuletzt aus ihren Kostümen, werfen ihre Rollen ab. Könnten wir alle einfach mal raus aus unserer Haut, aus unseren Geschichten, aus unseren Verletzungen – wäre dann ein friedlicheres Miteinander möglich? Ein kleiner Hoffnungsschimmer am Ende eines beinahe dreistündigen Abends, der dichtes Theater bietet. Ein Wasser-Spektakel, wie es Worms vor seinem Dom wirkungsvoll auf die Bühne stellte oder Brünhildes übergroßer Eisberg, den das Wiener Burgtheater szenisch erdachte, sind auf der kleinen Augsburger Kammerspiel-Bühne im Gaswerk nicht möglich. Irene Ip lässt eine bühnenfüllende Leinwand am Boden in vier Speilstreifen auf unterschiedlichen Niveaus auslaufen, die sogar spannende Rutschpartien ermöglichen. Licht und Video (Dominik Scharbow und Stefan Korsinsky) erschaffen hier unterschiedlichstes Ambiente – bis hin zum finalen Wald, in dem sich alle tiefsten menschlichen Abgründen stellen müssen. Starke Kostüm-Akzente (Tutia Schaad) von der isländischen Eiskönigin Brünhild in strahlendem Weiß mit überlangen Ärmeln (Chéreaus Bayreuther Brünnhilde lässt grüßen) bis zum Muskelprotz Siegfried werden zudem ergänzt durch die Musik- und Soundkulisse, die Stefan Leibold live ausführt. Mit einem sagenhaft vielfältigen Instrumentarium, das von Donnergrollen über Speerwürfe bis zum Vogelgezwitscher das Stück wesentlich mitträgt.
In dieser Umgebung können einige der besten Schauspielerinnen und Schauspieler, die das Augsburger Ensemble zu bieten hat, aufblühen. Allen voran ist das Katja Sieder als Brünhild, die ihre Partie irgendwo zwischen Rachegöttin, wildem Raubtier und verletzter Frau anlegt. Wie sie nach ihrer faktisch dem gesamten Hof (wie Vater Wotan) bekannten Vergewaltigung die Burgunder öffentlich anprangert und gleichzeitig dem Publikum fürs Wegsehen und die Verehrung falscher Helden die Leviten liest, hat großes Format: „eure helden sind viel schlimmer noch als ihr, weil sie der schlechtigkeit der welt noch einen rosa anstrich geben“.
Hoher, archaischer Ton und Alltagssprache
Überhaupt mischt der Sprachkünstler Schmalz geschmeidig den hohen, archaischen Ton des Nibelungenlieds mit Sätzen in gegenwärtiger Alltagssprache. Und das je nach Personen ganz individuell, was für die Ausführenden eine Herausforderung ist. Kriemhild alias Jenny Langner setzt der wilden Brünhild eine sanftere Frauenfigur en gegen, die – selbst von Siegfried betrogen – immer mehr erkennt „wie kaputt das alles ist“. Auf männlicher Seite protzt Siegfried mit seinen Muskeln und stapft in bester Henry-Maske-Art in den Ring. Herrlich naiv spielt Paul Langemann den blonden Strahlemann, der wüten kann wie ein kleines Kind, wenn er nicht bekommt, was er gerne hätte – nämlich ganz zu Beginn des Stücks Brünhild. Am Hof in Burgund wird er zum ausführenden Handlanger mit wenig schlechtem Gewissen ob seiner Gewalttaten, so dass sein Tod niemanden wirklich rühren mag. Auch nicht Gunther, für den der Held immer wieder die Kohlen aus dem Feuer und Brünhild gewaltsam ins Ehebett holen muss. Thomas Prazak spielt den Burgunder-König eindringlich: Mit der Vielschichtigkeit eines Schwächlings, der auf opulente „elegance“ setzt, sich aber nur durch lautstarke Wutausbrüche Gehör verschafft und mit seiner „Gattin“ Brünhild überfordert ist. Kai Windhövel und Patrick Rupar verkörpern als Gernot und Giselherr die Dekadenz des Wormser Hofs. Nur Hagen (Sebastian Müller-Stahl) bleibt in Schmalzs Version ein wenig blass, mehr Ordnungshüter als rücksichtsloser Mörder.
Bleibt noch die göttliche und Schicksal-Ebene, die der Autor neu einführt: Mit Wotan als Göttervater (herrlich zynisch: Gerald Fiedler) und den drei Nornen, die anders als ihre Artgenossinnen in Wagners „Götter- dämmerung“ bestimmend ins Stück eingreifen, etwa die Paarung der starken Brünhild mit dem noch stärkeren Siegfried verhindern. Elif Esmen, Ute Fiedler und Natalie Hünig sind als Spielemacherinnen durchwegs überzeugend besetzt und ziehen mit geschickten Wortspielen die Fäden. Ein sehenswerter Abend, der viel Beifall erntete!
BAYRISCHE STAATSZEITUNG 27.09.2024
von Christian Muggenthaler
Staatstheater Augsburg: Nibelungenlied neu interpretiert
Ferdinand Schmalz hat mit sei- ner 2022 uraufgeführten hilden- saga. ein königinnendrama eine Version des nun wahrlich dutzendfach nachgesungenen Nibelungenlieds geschrieben, die schon allein deshalb sehens- und aufführenswert ist, weil sie die ganze Sagenklamotte einmal gegen den Strich bürstet und von hinten aufzäumt. Ursprünglich verfasst für die Nibelungen-Festspiele in Worms, ist dieses Freilichtstück so gut gebaut, dass es auch in den Theaterhäusern gut funktioniert – wie aktuell im Staatstheater Augsburg.
Regisseur Axel Sichrovsky und sein Team haben einen atemlosen Abend auf die Brechtbühne gestellt: Wie auf einer Rutschbahn geht es um Leben und Legende, von Witz zu Wut und wieder zurück. Auch die Bühne (von Irene Ip) unterstreicht dieses Mit- und Durcheinander der Lebensbahnen.
Schmalz übernimmt Wagnerisches. Drei Nornen und Gott Wotan mischen sich ins Gestrüpp der Schicksalsfäden ein und ordnen sie neu. So bekommt die Sage einen neuen, feinen Drall, der die beiden Figuren Brünhild und Kriemhild entschieden ins Zentrum und vom Passiven ins Aktive stellt. Die Handlung endet wie im Urtext (in Friedrich Hebbels 1861 uraufgeführtem Trauerspiel Die Nibelungen quasi im Fleischwolf), nur die Hebel werden jetzt komplett anders bedient.
Naheliegend in all der Neuinterpretation ist, dass in Augsburg mit Katja Sieder und Jenny Langner die beiden Hilden Kriemhild und Brünhild im Zentrum stehen, wo- bei beide Darstellerinnen schauspielerisch beachtlich glänzen: weil sie in all dem gewohnten, gewöhnlichen Gut-Böse-Märchen endlich auch alle möglichen Schattierungen und Zwischentöne erhalten, die es braucht für die Glaubwürdigkeit von Figuren.
Der Mythos wird gewahrt
Dennoch wahren Text und Inszenierung den Schein von Märchen und Mythos. Dazu helfen Bühnenbahnen, die in ihrer Geometrie zugleich immer wieder eine schöne choreografische Orchestrierung der Figuren ermöglichen. Auf sie werden Stefan Korsinskys Videos projiziert als mystifizierender Hintergrund, den die Livemusik plus Geräuschkulisse von Stefan Leibold unterstreicht. Auch die Kostüme von Tutia Schaad gehen auf dieses Schaffen von Unwirklich-Wirklichem ein, lassen mal an eine Zauberwelt, mal an einen Männerbund denken. Allein schon das Outfit inklusive Muskel-Suit für den wackeren Paul Langemann als Siegfried ist ausgesprochen witzig. So wie es die ganze Männerhorde ist, die ihre Stellung im System mit persönlichen Vorzügen verwechselt: Das ist ebenso doof wie aktuell wie komisch. Sie sind wie eine Hundemeute.
Das passt zu einer Inszenierung, die mit viel Lust das emotionale Potenzial im Text offenlegt und den ganzen Heldenstoff einmal längs und quer und fulminant durchhechelt. Da lösen sich Erkenntnismomente und Unterhaltung ab: Oberwasser für die Hilden – Zeit ist es geworden.
Selected Works
YERMA 2022Schauspiel
NICHT SEHEN 2022Schauspiel
REIGEN 2021Schauspiel
DER WIDERSPRÜCHLICHE 2021Schauspiel Tanz Performance
OLEANNA VR-360° 2020Regie
OLEANNA 2019Regie
VOR SONNENAUFGANG 2019Schauspiel
IWANOW 2018Schauspiel
4.48 PSYCHOSE 2018Regie
INTERVIEW 2016Regie
WUT 2016Regie
DER KICK 2014Regie
QUARTETT 2013Regie
HELDEN WIE WIR 2013Regie
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