HELDEN WIE WIR

Thomas Brussig

Anhaltisches Theater Dessau 2013

REGIE: Axel Sichrovsky

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"Herrliche Inszenierung mit hohem Schauwert (...) Ein großer Abend für den Schauspieler"

"Regisseur und Autor Axel Sichrovsky und seine Ausstatterin haben eine herrlich theatrale Inszenierung mit hohem Schauwert in Gang gesetzt. Schattenspiel und Musik, Videos und Puppenspiel. (...) Das ist kurzweilig in jeder Minute der fast zweistündigen Inszenierung. Immer wird die Szene ironisch gebrochen, dass einem das unbeschwerte Lachen wie ein Kloß im Halse steckenbleibt. (...) Es ist ein ganz großer Abend (...) hält zugleich die Schwebe zwischen Belachen, Mitgefühl und tiefem Erschrecken ob der Banalität des Bösen. Er lässt den Zuschauer auch nachdenklich ins eigene Innenleben blicken. Es ist nicht nur eine spielerische, sondern auch sehr musikantische Inszenierung geworden.“

VOLKSSTIMME HALBERSTADT

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"Ein herzerfrischendes Gelächter"

„Die von Axel Sichrovsky neu erarbeitete Stückfassung kommt als grellbunte, laute, multimediale Talk-Comedy-Theater- Show daher. Vor allem durch das furiose, nuancierte Spiel von Müller immer im Kontakt mit dem Publikum als Verbündeter, ist das Stück ein Erlebnis."

VOLKSSTIMME MAGDEBURG

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JPF3379

BESETZUNG
Sebastian Müller-Stahl

REGIE
Axel Sichrovsky

AUSSTATTUNG
Norgard Kröger

BESETZUNGREGIEAUSSTATTUNG
Sebastian Müller-StahlAxel SichrovskyNorgard Kröger

Presse komplett

MITTELDEUTSCHE ZEITUNG QUEDLINBURG 11.11.2008
von Rita Kunze


Schelmenstück über den Sturz der Mauer


Das Ende der Vorstellung ist nahe, da wird das Publikum vom Hauptdarsteller hinaus auf den kleinen Flur zur Neuen Bühne geschickt. Irritiert schaut es dort auf die Symbole des Phallischen, die es in die Hand gedrückt bekommt. Damit darf es gleich die Berliner Mauer - stellvertretend große Pappkartons - einreißen.
Dann ist Party.

Basierend auf Thomas Brussigs Wenderoman "Helden wie wir" inszeniert Axel Sichrovsky für das Nordharzer Städtebundtheater ein interaktives Einpersonenstück. Dabei erschafft ein fabelhafter Sebastian Müller den Anti-Helden Klaus Uhltzscht, der seine Geschichte zunächst grell wie in einer Talkshow zum Besten gibt: Er habe damals, fast zwanzig Jahre ist es her, die Mauer zum Einsturz gebracht - und zwar mit seinem übergroßen Penis. Denn der ist es, der den friedlichen Revolutionären von einst wohl fehlte: "Ein Volk, das sich von einer Lkw-Pritsche herab die Befreiung der Sprache als revolutionäre Errungenschaft preisen lässt, das mit dem Hinweis aufgemuntert wird, dass es mit behördlicher Genehmigung protestiert, das ratlos vor ein paar Grenzsoldaten stehen bleibt, ein solches Volk hat einen zu kleinen Pimmel - in diesen Dingen kenne ich mich aus", sagt Klaus Uhltzscht.

Die Metapher für Macht und Machtphantasien wächst freilich kongruent zur Unzufriedenheit, die sich im Helden breitmacht. In einer Mischung aus Monolog, Schattenspiel und Videosequenzen (Ausstattung: Norgard Kröger) offenbart sich der wahre Kern des Kinds der DDR: Es will geliebt und gebraucht werden, wichtig sein. Doch zunächst ist Uhltzschts bestes Stück ausgesprochen klein und kaum der Rede wert - wie sein Besitzer, der auch in der eigenen Familie kleingehalten wird. Die Mutter, eine "Hygienegöttin", ist zwar gefühlvoll, aber ansonsten in jeder Hinsicht aseptisch. Der Vater arbeitet bei der Staatssicherheit und redet nie, dennoch landet sein Sohn irgendwie in der gleichen Firma. Deren Mythos aber löst sich im Spiel auf - der Held ist plötzlich Teil einer grauen Gemeinschaft, in der ein Nussknacker kleinen Handpuppen Befehle erteilt.

Mit Uhltzschts zunehmenden Zweifeln werden dann auch die Töne leiser, mit denen er erzählt. Lustig bleibt es aber immer noch; aus der nüchternen Perspektive zeitlicher Entfernung heraus betrachtet zeigt sich manches weit weniger spektakulär geschweige denn bedeutungsvoll, als es einst wahrgenommen wurde. Er habe nicht "die große politische Aufräumarbeit" leisten wollen, sondern sich "darüber lustig machen, wie kleingeistig diese großen Ideale von sozialer Gerechtigkeit umgesetzt wurden", sagte Brussig einmal selbst über seinen Roman. In Sichrovskys Regiearbeit zieht sich das durch bis zur Wende, bleibt auch von Christa Wolfs - "Übermutter" der DDR-Literatur - einstmals bedeutsamer Rede über die Befreiung der Sprache nicht mehr übrig als eine gebärdenreiche Persiflage auf den oberen Rängen, die das Publikum unten auf der Bühne amüsiert.

VOLKSSTIMME HALBERSTADT
von Hans Walter


Herrliche Inszenierung mit hohem Schauwert
Ein großer Abend für den Schauspieler


Thomas Brussigs Roman „Helden wie wir“ wurde zum großen Soloabend für den Schauspieler Sebastian Müller, assistiert vom Musiker und Toningenieur Benjamin Schultz und Nils Fichtner. Nach der Bühnenfassung des Stückes durch Peter Dehler, bereits erfolgreich am Nordharzer Städtebundtheater gespielt, erlebte es nun in der Fassung von Regisseur Axel Sichrovsky in der ausverkauften Neuen Bühne Quedlinburg seine neue, gefeierte Premiere. 


 „Helden wie wir“ beschreibt als großes Stück Prosa die untergegangene DDR. Brussig schildert das arge Leben des Klaus Uhltzscht als Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Je schlimmer seine Aufträge werden, desto größer wird er im Beschönigen. Brussig betrachtet seinen Helden in aller Absurdität. Uhltzschts Minipenis schwillt zum Rammbock, damit öffnet er in der Geschichte die Mauer. Es ist ein wahrer Narrenspiegel oder eine Schelmengeschichte, die sich hier zeigt. Sie erzählt vom Alltag mit dem nüsseknackenden Stasivater und der läusejagenden Hygiene-Mutter, von der Aufklärung im Ferienlager und vom ersten Samenerguss bei Zetti-Knusperflocken und Dagmar Frederic im „Kessel Buntes“. Diesen „Helden“ seziert Brussig mit beißender Ironie. Er erzeugt ein Lachen, das Distanz zur DDR schafft. Keine Verklärung. „Darüber müssen wir reden. Über dich und mich. Über uns. Über das gegenseitige Kränken und Demütigen. Über das Abducken. Über das menschlich Miese. Nichts Menschliches ist mir fremd, auch nicht das menschlich Miese“, sagt Brussig. „Das System war nicht unmenschlich. Aber es war menschenfeindlich. Es verunstaltete Menschen. Es brachte sie dazu, zu lieben, was sie hassen müssten. Und das mit einer Intensität, dass sie das nicht mal heute wahrhaben können."

Regisseur und Autor Axel Sichrovsky, seine Ausstatterin Norgard Kröger und die Dramaturgin Sylvia Sarnow haben eine herrlich theatrale Inszenierung mit hohem Schauwert in Gang gesetzt. Wider das Vergessen und Schönreden. Schattenspiel und Musik, Videos und Puppenspiel – Sebastian Müller bekommt zu seinen großen schaupielerischen Mitteln zig andere Möglichkeiten, die Geschichte zu erzählen. Ständig schlüpft er in neue Rollen. 

Das ist kurzweilig in jeder Minute der fast zweistündigen Inszenierung. Immer wird die Szene ironisch gebrochen, dass einem das unbeschwerte Lachen wie ein Kloß im Halse steckenbleibt. Die Ausstatterin zitiert piefige Original-DDR bis ins Detail, etwa die Plaste-Türklinke zum „PZV“-Container, in dem Uhltzscht seine ersten Einweisungen ins Spitzelhandwerk bekommt. Dafür hat sie einen unzugänglichen Raum hinter den Zuschauern gebaut. Uhltzscht verschwindet darin, eine Schwarz-Weiß-Kamera überträgt die von Müller in Gang gesetzten Spiele der Geheimdienstleute als lachhaftes Kasperspiel. 

Auch in den Kostümen beschreibt Norgard Kröger die Befindlichkeit des Helden sehr genau: Das unvermeidliche lila Seidenblouson mit Schalkragen, der güldene Gürtel und die weiße Hose nach der Wende, als Uhltzscht in 700 Porno-Filmen wie „Der Pimmel über Berlin“ als „Sir Lancelot“ mitwirkt. Die Lederjacke als Rüstung des Geheimdienstmannes. Das weichfließende graue Seidenhemd, als er mit lichtstrahlenden Tulpen bei der Außenseiterin Yvonne auftaucht und von widerstrebenden Gefühlen schier zerrissen wird: Vom Tagebuch der Anne Frank, der sensiblen Musik Herman van Veens, dem schönen Kaleidoskop der Möglichkeiten, von der Unbeschwertheit der Niederlande. Eine Sehnsucht. 
Der Rest ist eine spielerische Befreiung. 
Das ist ein Schlüsselmoment der Sichrovsky-Fassung: „Tu mir weh“, wird die sanfte Yvonne verlangen – und Klaus Uhltzscht flieht aus der Beziehung, trainiert lächerliche Sexualpraktiken an einem Broiler und wird den starken Mann bei der Festnahme von Demonstranten am 7. Oktober 1989 geben. Wieder eine Chance vertan, menschlicher zu werden. Den 4. November erlebt Uhltzscht auf dem Alexanderplatz, in der fantastisch genauen Maske und mit den Sätzen von Christa Wolf. Er steht wie Gavroche auf der Barrikade – und stürzt in einen Schacht, wobei sich auf wundersame Weise sein Minipimmel vergrößert und die Rahmenhandlung schließt. 
Schluss? Noch nicht! Der Rest ist wahrhaft eine spielerische Befreiung. Uhltzscht bittet die Zuschauer nach draußen und rüstet sie mit allerlei harten Gegenständen inklusive einem Riesenpenis aus Pappmachee aus. Im Zuschauerraum ist inzwischen eine Mauer aus Pappkartons a la Pink Floyd aufgebaut worden, und die wird von allen Besuchern in einem wahren Happening eingerissen. 
Es ist ein ganz großer Abend des Schauspielers Sebastian Müller. Er ist der Entertainer. Intelligent, heiter, mit vielen spielerischen Mitteln, Kostümen und Brillen porträtiert er genau einen durch und durch unsympathischen Alltagstypen – und hält ihn zugleich in der Schwebe zwischen Belachen, Mitgefühl und tiefem Erschrecken ob der Banalität des Bösen. In Müllers Sicht wird klar, dass Machtmissbrauch und unkritische Anpassung nicht ein für allemal vorbei sind. Er lässt den Zuschauer auch nachdenklich ins eigene Innenleben blicken. 



Axel Sichrovsky
axel.sichrovsky@gmail.com