REGIE: Axel Sichrovsky
„Als Aufführungsort bewegt sich der Hörsaal also zwischen Herrschaft und Spiel – Pole, die Regisseur Axel Sichrovsky mit seiner Inszenierung von David Mamets „Oleanna“ äußerst intelligent auszuloten weiß."
"In bester Manier des epischen Theaters treten Andrej Kaminsky und Katja Sieder jetzt neben ihre Figuren, tauschen Kostüme, übertreiben das psychologische Spiel, brechen es wieder. Kommentieren, chargieren, parodieren. Die Qualität in David Mamets Stück, dass nie entschieden werden kann, welche Position wahr oder richtig ist, überführt die Aufführung in ein lustvolles, ironisches, dann wieder berührendes theatrales Spiel.“
BAYRISCHER RUNDFUNK
"Anfangs stürzen sich die beiden Schauspieler förmlich in ihre Rollen. Später brechen diese Charaktere auf, verlassen die Schauspieler die klaren Rollengrenzen, wird es furios. Sieder verwandelt sich in ein Chamäleon. (...) Ein Stück und eine Inszenierung die Diskussionen förmlich heraufbeschwören. Sehenswert, das auf jeden Fall ist eindeutig.“
AUGSBURGER ALLGEMEINE
"...noch während des Schlussapplaus wird das Spiel mit Rollen und Rollenzuschreibungen ironisch weitergeführt, keine Antwort gegeben, alles infrage gestellt. „Oleanna“ mutet einer Zeit, die so gerne einfache Antworten hat, so gerne schnell urteilt und Schwarz-Weiß-Denken liebt, Mehrdeutigkeiten zu und verweigert jedes Urteil.
Es ist eben alles immer komplizierter, und auch auf die Gefahr hin, sich weiter misszuverstehen, gibt es eben keine andere Möglichkeit, als darüber zu reden und sich der Komplexität auszusetzen. Komplexität, Mehrdeutigkeit, Offenheit: Das alles mögen immer mehr Menschen als Zumutung empfinden. Mit zwei so hervorragenden Schauspielern ist das aber ein Vergnügen.“
DONAUKURIER
„Aus diesem Perspektivwechsel schlüpfend, begibt sich das Stück auf eine Metaebene. Die beiden Schauspieler Andrej Kaminsky und Katja Sieder verlassen ihre Rollen, beziehen Stellung zu ihrer Figur, wechseln die Stereotypen, bis letztlich John im Kleid mit Lippenstift auf der Bühne steht, daneben Carol mit Bart, ihm auf den Arsch klatschend.
Auf in den letzten Akt, das Skript wortwörtlich wiedergebend und mit dramatischer Musik unterlegt endet das Spiel im (Meta-)Höhepunkt. Die Fragen nach Macht und artifiziellen Strukturen sowie die reflexive Auseinandersetzung mit dem Stück im Stück sorgt für viel Nachdenken und auch viel Gelächter. Auf welcher Seite stehen Sie?“
A3 KULTUR
BESETZUNG
Katja Sieder
Andrej Kaminsky
REGIE
Axel Sichrovsky
DRAMATURGIE
Sabeth Braun
BÜHNE und KOSTÜM
Jan Steigert
BESETZUNG | REGIE | KOSTÜME | DRAMATURGIE | REGIEASSIST. |
---|---|---|---|---|
Katja Sieder | Axel Sichrovsky | Jan Steigert | Sabeth Braun | Ana Wybkea Gutschke |
Andrej Kaminsky |
Presse komplett
BAYRISCHER RUNDFUNK
David Mamets Theaterstück "Oleanna" behandelt den Paradefall sexueller Übergriffigkeit: Arrivierter Universitätsprofessor trifft ambitionierte Studentin. Das Staatstheater Augsburg hat den Klassiker jetzt neu inszeniert – im Hörsaal der Universität.
Man spürt es als Zuschauer sofort: Die Macht- und Sprachverhältnisse in einem Hörsaal sind ziemlich eindeutig. Unten am Pult der Professor, der Wissen hat und redet. Ihm gegenüber, im Auditorium, die Studierenden, die zuhören und mitschreiben. Oder Bühne und Publikum, also wie im Theater. Nur, dass im Theater klare Verhältnisse ja meistens auf dem Prüfstand stehen und die eindeutige Aufteilung, wer wen spricht, heute gerne durcheinander gerät.
Als Aufführungsort bewegt sich der Hörsaal also zwischen Herrschaft und Spiel – Pole, die Regisseur Axel Sichrovsky mit seiner Inszenierung von David Mamets „Oleanna“ äußerst intelligent auszuloten weiß. Am Anfang sind die Rollen noch ziemlich klar: Andrej Kaminsky spielt einen durchaus sympathischen aber doch sehr selbstverliebten Professor John.
Der versucht zwar seiner Studentin Carol – strebsam und trotzdem widerspenstig gespielt von Katja Sieder – zuzuhören, aber die eigenen Exkurse über Lehrmethoden, Kränkungserfahrungen oder die Kritik am Bildungssystem klingen in seinen Ohren eben doch verführerischer als das Stammeln seiner Studentin.
Ganz nah an David Mamets Stücktext spielt Kaminsky versiert auf der Klaviatur kommunikativer Register. Gibt den narzisstischen Wissenschaftler, den kümmernden Vater, den verkannten Intellektuellen oder den großen Bruder. Und merkt nicht einmal, als Carol den väterlichen Arm auf ihrer Schulter vehement abwehrt, dass er an seinem Gegenüber vorbei agiert. Ein Mann mit Macht und Privilegien – naiv, aber deswegen nicht unschuldig. So sieht es jedenfalls Carol.
Im zweiten Akt von „Oleanna“ hat Carol John des sexuellen Übergriffs beschuldigt, Johns Berufung auf den Lehrstuhl ist deshalb gefährdet. In großprojizierten Videoaufnahmen sieht man die Gesichter der beiden Schauspieler, die sich vor den Projektionen gegenübersitzen. Die Fronten haben sich verhärtet, die Perspektiven vervielfältigt. Der Versuch eines klärenden Gesprächs wirkt im Setting aus Video und statischer Sitzordnung wie eine Mischung aus Beichtstuhl und Verhör, Bekenner-video und Tribunal.
Naiv gegenüber Macht und Ohnmacht ist jetzt keiner mehr, die individuelle Existenz wird in soziale Zusammenhänge eingebunden. Einerseits John, der um sein Recht auf die Bürgerlichkeit einer etablierten Mittelschicht bettelt. Auf der anderen Seite Carol aus der Unterschicht, die Teilhabe, Stimme und Macht beansprucht. Und genau diese, die Macht, gewinnt sie mit dem Vorwurf des sexuellen Übergriffs. Ob Wahrheit oder nicht, ist nicht mehr die zentrale Frage. Ein Verschwimmen von Positionen, das im dritten Teil des Abends noch einmal eine Steigerung erfährt.
In bester Manier des epischen Theaters treten Andrej Kaminsky und Katja Sieder jetzt neben ihre Figuren, tauschen Kostüme, übertreiben das psychologische Spiel, brechen es wieder. Kommentieren, chargieren, parodieren. Die Qualität in David Mamets Stück, dass nie entschieden werden kann, welche Position wahr oder richtig ist, überführt die Aufführung in ein lustvolles, ironisches, dann wieder berührendes theatrales Spiel.
Mamets Text mutiert zum Gegenstand einer performativen Diskussion, in der Anspielungen auf aktuelle Debatten nicht fehlen: #Metoo, Fake News, political correctness, angry white men, Gleichberechtigung im Theater. Wo der Ursprungstext mit einer finalen Vergewaltigungsanklage einen unüberbrückbaren Graben zwischen den Geschlechtern ans Ende setzt, zeigt die Aufführung den Gendertrouble als Chance.
Als Aufforderung, Perspektiven zu wechseln, Positionen zu tauschen, über den Streit zum Verständnis zu kommen. Nach dem Showdown zwischen den Figuren Carol und John ist die Umarmung ihrer Darsteller das hoffnungsvolle Ende eines Abends, der über Machtstrukturen und das Verhältnis der Geschlechter sehr vielschichtig nachzudenken aufgibt.
AUGBURGER ALLGEMEINE
von Richard Mayer
Alles scheint völlig klar. Professor John muss als Opfer herhalten, er muss als Vertreter männlicher Macht gestürzt werden. Die Anklage: raffiniert. Vorgeworfen werden ihm von seiner Studentin Carol ein willkürliches Hinwegsetzen über die Universitätsregeln ("Ich kann Ihnen eine 1 geben, wenn sie öfters zu mir privat kommen"), vor allem aber Sexismus, Pornographie und sexuelle Belästigung. Und John kann das nicht fassen. Das Publikum hat es ja selbst gesehen. Carol verstand den Stoff nicht, John wollte ihr jenseits des Unterrichts helfen. Er erzählte von seinen Schwächen, um ihr zu zeigen, dass sie sich nicht unähnlich sind. Sie erfährt, dass er zwar als Professor auf Lebenszeit berufen ist, der Vertrag aber noch nicht unterschrieben ist. Er macht ihr das Angebot, alles anders und jenseits der Vorschriften zu regeln. Sie lehnt das ab; er legt ihr die Hände auf die Schultern; sie weißt die Geste vehement zurück. Alles harmlos, möchte man nach dem ersten Akt von David Mamets Zwei-Personen-Stück "Oleanna" meinen. Mitnichten.
Kurz vor der ersten Premiere in der neuen Brechtbühne auf dem Gaswerk-Areal verwandelt das Staatstheater Augsburg den Hörsaal 2 der Universität Augsburg in eine Bühne. Gespielt wird dieses mittlerweile schon 17 Jahre alte Stück, das sich wie ein künstlerischer Beitrag zur MeeToo-Debatte liest. Wobei all das, was bei dem US-Filmproduzenten Harvey Weinstein und den Schasuspielerinnen, die seine Opfer wurden, so deutlich ist, hier vollkommen verschwimmt.
Mamet geht es nicht um Eindeutigkeit, auch nicht um die Frage, wer Recht hat. Am Schluss, nach dem dritten Akt, hat John ja all das an physischer Gewalt nachgeholt, was ihm anfangs von Carol vorgeworfen wurde. Irgendwas muss an den Vorwürfen von Carol also dran sein. Im Sinn hat Mamet Grundsätzlicheres.
Er richtet den Blick auf die Kommunikaiton in Machtzusammenhängen. Ein ormales Gespräch, eine Abfolge von Reden und Zuhören, so etwas wie Einsicht und Verstehen scheinen unmöglich. Anfangs unterbrechen sich beide ständig. Das ganze Stück über widersprechen sie sich. Irgendwann muss John schmerzhaft erkennen, wie einfach Reden und Unterrichten für ihn war, als er die Macht inne hatte. Ein Moment der Einsicht, auf den aber nichts mehr fplgen kann, weil John da nichts mehr zu sagen hat, er den Diskurs an dieser Stelle nicht mehr ändern kann. Carol diktiert da die Regeln des Sprechens, als sie sich endgültig in eine Kämpferin für ihre Gruppe verwandelt hat. Sie verfügt jetzt über Macht - und genießt es sichtlich.
Die Eskalation im Stück setzt Regisseur Axel Sichrovsky ins Bild. Die Schauspieler Andrej Kaminsky und Katja Sieder sprechen über Mikrofone, sie müssen nicht schreien, den ganzen ersten Akt über bis zur Pause ist das gesittet. Er trägt dezentes Professoren-Beige, sie hat sich mit einem Wollmantel gepanzert. War da was?, kann man sich zur Pause fragen. Nach der Pause kommen einem die Darsteller sehr viel näher - als übergroße Videoprojektionen in einer Verhörsituation. Im dritten Akt streifen sie die Kleider ab, tragen sie beide dasselbe schwarze Kostüm, geht es endgültig um Archetypisches und um das, was beide verbindet: nämlich die Macht. Dazu wird auch der Text an manchen Stellen verlassen. Beide versuchen, das Publikum auf ihre Seite zu ziehen. Es gibt Schlenker zum Theater selbst ("Warum musst Du Dich jetzt asuziehen? Warum muss in jedem Stück ein Pimmel zu sehen sein?").
Kaminsky fordert das Publikum nackt dazu auf, mit ihm das alte Studentenlied " Die Gedanken sind frei" zu singen.
Anfangs stürzen sich die beiden Schaspieler förmlich in ihre Rollen, lange scheint Kaminskys Professor Herr der Lage zu sein mit diesem kontrollierten Ton, verständnisvoll, aber immer auch ein bisschen gönnerhaft. Sieders Carol dagegen wirkt verunsichert und unnahbar, eine Studentin, die ihr Ich auf arktische Temperaturen herunterkühlen kann. Später brechen diese Charaktere auf, verlassen die Schauspieler die klaren Rollengrenzen, wird es furios. Sieder verwandelt sich wie ein Chamäleon. Zwischen dem hohen Ton weiblicher Verführungskunst und der breitbeinigen Cowboy-Attitüde liegen nur zwei Striche übers Gesicht, nach denen Sieder eine Bart trägt. Und Kaminsky: Wehrt sich mit allem! Umgarnt das Publikum, zieht sich aus und hat trotzdem keine Chance mehr als Professor. Ein Stück und eine Inszenierung, die Diskussionen förmlich heraufbeschwören. War da was? Wer hat Recht? Alles überzogen? Oder: Nein, so ist es! Und dann gibt es da ja noch diese Eben dahinter, das Spiel um die Macht. Sehenswert, das auf jeden Fall ist eindeutig.
DONAUKURIER
von Berndt Herrmann
#MeToo natürlich auch im Theater. Die Gesellschaft richtet seit Jahren das Auge ganz besonders auf das Machtgefälle zwischen Männern und Frauen, auf Diskriminierung, auf sexuelle Belästigungen und Übergriffe. Das Gender-Thema ist allgegenwärtig, #MeToo hat das noch verstärkt. Wer aber unterstellt, mit David Mamets "Oleanna" springe das Theater Augsburg wohlfeil auf die aktuelle Diskussion auf, greift zu kurz. So einfach ist das nicht.
Das Stück stammt aus dem Jahr 1992, also einer Zeit, als political correctness in den gesellschaftlichen und politischen Diskursen die Rolle von #MeToo heute spielte - wobei beides viel miteinander zu tun hat. Entscheidender ist aber, dass es Mamet in seinem Stück um Grundsätzlicheres geht.
Dabei beginnt das, was Axel Sichrovsky im Hörsaal 2 der Uni Augsburg inszeniert, als eine konventionelle Campus-Geschichte. Studentin Carol ist verzweifelt, versteht nichts, und möchte wissen, wie sie bessere Noten bekommen kann. Der Professor John will ihr helfen, bietet an, den Stoff mit ihr nochmal durchzugehen - privat. Katja Sieder zeigt uns da eine naive, biedere, unbeholfene, aber ambitionierte Studentin, Andrej Kaminsky einen Professor, der verständnisvoll scheint, mit nicht unsympathischer kritischer Distanz zu Bildung, ihren Institutionen und dem System, das ihn nach oben gebracht hat. Er plaudert bereitwillig über Privates, das neue Haus, das er mit seiner Frau kaufen möchte, die Hoffnung auf eine lebenslange Professur.
Im zweiten Akt haben sich die Vorzeichen geändert: Carol hat sich bei der Berufungskommission beschwert, sie wirft John Arroganz, sexuelle Belästigung und Diskriminierung, später sogar versuchte Vergewaltigung vor. Sieder und Kaminsky sitzen sich gegenüber, ihre Gesichter werden per Video auf Leinwände übertragen, die Konfrontation wird offensichtlich. Die schüchterne Carol erläutert immer eloquenter ihre Anklage, während der Zuschauer zunächst so konsterniert ist wie John. Da war doch nichts. Oder? War da wirklich nichts? Keine Anzüglichkeiten in den Bemerkungen? Keine Herablassung gegenüber Studenten, die viel aufgewendet haben, um an der Bildung teilzuhaben, die der etablierte Professor so selbstgefällig infrage stellt? Alles nur überzogen und radikaler Feminismus, hysterischer Gender-Talk? Carol spricht da längst im Namen "der Studentenschaft", und sie sagt das Wort so wie Populisten "das Volk" sagen.
Beide Schauspieler haben ihre Kleidung abgestreift und sitzen sich in schwarzen Suits gegenüber. Die äußeren Zeichen der sozialen Unterschiede und der Hierarchie fehlen, die Grenzen verschwimmen. Wer steht für was, wessen Motive sind lauter und wessen unlauter? Ganz am Anfang kamen der Professor und die Studentin stockend und stammelnd kaum ins Gespräch, und auch wenn sie später rhetorisch glänzen, ist ihr Problem miteinander im Grunde ein einziges Kommunikationsproblem. Die Machtspiele sind eigentlich Sprachspiele, Kämpfe um die Interpretation und die Zuschreibung von Bedeutung, die Deutung des Geschehenen, die bestimmt ist vom subjektiven Gefängnis, in dem jede Weltsicht steckt.
David Mamet verweigert die Fragen nach Schuld und Verantwortung, schlägt sich auf keine Seite, und die Augsburger Inszenierung verstärkt das noch. Im dritten Teil arbeitet sie mit Mitteln des epischen Theaters, die Regieanweisungen werden mitgesprochen, das Publikum befragt. Es stimmt darüber ab, ob John geflirtet hat, ob eine Bemerkung Carols sexuell diskriminierend war. Sichrovsky zieht Meta-Ebenen ein, lässt die beiden über ihre Figuren und das Theater diskutieren, vor allem Katja Sieder löst die Konturen ihrer Figur grandios immer mehr auf, springt zwischen den Perspektiven hin und her, entzieht jedem Standpunkt, jeder Haltung, die der Zuschauer auch immer einnimmt, den Boden, während Kaminksy seiner Figur zunächst alle Souveränität nimmt, sich entblößt - im übertragenen wie im konkreten Sinn -, sie zu einer traurigen Gestalt macht, um ganz zum Schluss, als die Studenten fordern, sein Buch zu verbieten, seine Würde wieder gewinnt, sie vielleicht zum ersten Mal entdeckt.
Die Dynamik des Stücks lässt kein anderes Ende als ein katastrophales zu: Das Leben und die Karriere von John sind zerstört, da lässt er sich zu der Gewalt hinreißen, die ihm Carol die ganze Zeit vorwirft.
Eindeutig ist aber bis zum Ende nichts, noch während des Schlussapplaus wird das Spiel mit Rollen und Rollenzuschreibungen ironisch weitergeführt, keine Antwort gegeben, alles infrage gestellt. "Oleanna" mutet einer Zeit, die so gerne einfache Antworten hat, so gerne schnell urteilt und Schwarz-Weiß-Denken liebt, Mehrdeutigkeiten zu und verweigert jedes Urteil. Es ist eben alles immer komplizierter, und auch auf die Gefahr hin, sich weiter misszuverstehen, gibt es eben keine andere Möglichkeit, als darüber zu reden und sich der Komplexität auszusetzen. Komplexität, Mehrdeutigkeit, Offenheit: Das alles mögen immer mehr Menschen als Zumutung empfinden. Mit zwei so hervorragenden Schauspielern ist das aber ein Vergnügen.
a3KULTUR
Wie erschafft man eine authentische Atmosphäre? Man begibt sich an den Ort des Geschehens. Für ein Stück wie »Oleanna« bedeutet dies konkret der Hörsaal II der Universität Augsburg. Der erste Akt beginnt mit der – für einen Studenten – bestens bekannten Szene: Der Professor (John), beschäftigt am Handy einen Anruf abwimmelnd, ruft zwischendurch den Satz zur Studierenden (Carol): »Bitte, setzen Sie sich.« Es geht um Machtverhältnisse, in diesem Fall um die klare Hierarchie zwischen Professor und Studierende*r.
Carol, sehr verschüchtert, versteht kein Wort, weder aus dem Buch, noch aus dem Seminar des Professors. Der Professor, beinahe zu verständnisvoll, stellt sogleich seine eigene Lehre in Frage: Dass sie nichts verstehe, könne auch daran liegen, dass seine Lehre schlecht ist. So legt John das artifizielle Konstrukt des Schüler-Lehrer-Verhältnisses ab, um ein Gespräch zwischen zwei Menschen mit Problemen zu ermöglichen. Auch er hat Probleme: mit dem Haus, der Frau, den Kindern. Sie hat Probleme mit dem Studium und der Lehre des Professors. Das Machtverhältnis scheint ausgehebelt. Aus Sympathie für Carol bietet der Professor an, mit ihr den Stoff des gesamten Semesters nochmal durchzugehen. Er fängt an zu monologisieren, sie fängt an zu notieren, die beliebte Reproduktion des autoritären Gedankengutes. Wenn John davon redet, dass die Prüfungen sinnlos seien, weil Studierende nur noch danach geprüft werden, ob sie sinnloses Zeug aufsaugen und wieder auskotzen könnten, so übersieht er doch, dass er solch einen Fall vor sich sitzen hat. Wenn er davon redet, dass höhere Bildung nur noch den Zweck des Aufstiegs aus einer sozialen Schicht diene, dann erfüllt Carol genau dieses Kriterium. Zu sehr damit beschäftigt sich selbstverliebt beim Theoretisieren zuzuhören, übersieht er, wen er vor sich sitzen hat. Verletzt von Johns Worten, möchte Carol den Raum verlassen, wird dabei aber vom Professor nicht nur mit Worten, sondern auch mit einer Berührung an der Schulter aufgehalten.
Der zweite Akt beginnt und die Machtverhältnisse haben sich um 180 Grad gedreht. Carol ist auf Bitte des Professors erschienen, denn ihm hängt eine Klage wegen sexueller Belästigung und Vergewaltigung am Hals – von Carol. Die hat nämlich – man könnte sagen hinterhältig – Zitate des Professors bei ihrem letzten Besuch so zusammengewürfelt, dass man daraus – wäre man nicht anwesend gewesen – eine klare Vergewaltigung liest. Dieser Vorwurf, ob nun wahr ist oder nicht, könnte John seine Professur, samt seines neu gekauften Hauses kosten. Die Macht liegt jetzt wieder bei Carol. Warum sie das tue, fragt John. Carol und ihre feministische Gruppe seien die sexistischen und diskriminierenden Äußerungen des Professors satt und würden im Sinne der Studentenschaft handeln. Ihre Forderung: eine Liste mit Büchern des Professors, die vom Lehrplan gestrichen werden sollen. Durch die Ausführungen Carols beginnt man zu zweifeln. Hat sie Recht? Ist er wirklich so ein Tyrann wie sie behauptet?
Aus diesem Perspektivwechsel schlüpfend, begibt sich das Stück auf eine Metaebene. Die beiden Schauspieler Andrej Kaminsky und Katja Sieder verlassen ihre Rollen, beziehen Stellung zu ihrer Figur, wechseln die Stereotypen, bis letztlich John im Kleid mit Lippenstift auf der Bühne steht, daneben Carol mit Bart, ihm auf den Arsch klatschend. Auf in den letzten Akt, das Skript wortwörtlich wiedergebend und mit dramatischer Musik unterlegt endet das Spiel im (Meta-)Höhepunkt: der Ermordung Carols durch John. Die Fragen nach Macht und artifiziellen Strukturen sowie die reflexive Auseinandersetzung mit dem Stück im Stück sorgt für viel Nachdenken und auch viel Gelächter. Auf welcher Seite stehen Sie?
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